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Zurück zu einer aussenpolitischen Priorität Südkaukasus

Aktualisiert: 27. März

Werner Thut*


Kurz und knapp fallen sie aus – die Antworten des Bundesrats auf die zahlreichen

Vorstöße, mit denen Parlamentarier/-innen und die außenpolitischen Kommissionen

seit 2020 mehr Unterstützung für Armenien im Krieg gegen Aserbaidschan fordern.

Die Stellungnahmen bleiben vage oder umgehen die zentralen Fragen. Anstatt

konkrete Antworten zu liefern, verweist der Bundesrat auf allgemeine

völkerrechtliche Prinzipien, die gleichermaßen an Aggressor und Opfer adressiert

sind. Relevante Maßnahmen oder Initiativen werden nicht in Betracht gezogen.


Wie eine neue Studie zeigt, hielt diese neutralistische Haltung im Wesentlichen mit

dem Amtsantritt von Bundesrat Cassis im Jahr 2018 Einzug. Sie steht im Kontrast

zur engagierten und initiativen Außenpolitik der Jahre 2000 bis 2015, die dem Geist

und Wortlaut von Artikel 54 der Bundesverfassung deutlich mehr entsprach.


Mit deutlichen Mehrheiten hat das Parlament nun Gegensteuer gegeben und den

Bundesrat mit der Motion 24.4259 verbindlich beauftragt, innerhalb eines Jahres

einen Dialog zwischen Aserbaidschan und Volksvertretern der Bergkarabach-

Armenier zu organisieren. Ziel ist die Verhandlung über eine sichere und kollektive

Rückkehr der historisch ansässigen armenischen Bevölkerung. Über 100'000

Menschen dieser armenischen Exklave wurden im Herbst 2023 in einem Akt

ethnischer Säuberung innerhalb weniger Tage von Aserbaidschan vertrieben.


Die Parlamentsentscheidung wurde in Armenien und der weltweiten Diaspora,

einschließlich in der Schweiz, dankbar und teils begeistert aufgenommen. Doch

kann sie tatsächlich etwas bewirken?


Zugleich berichten die Medien von Fortschritten in den intensiven Verhandlungen

zwischen Armenien und Aserbaidschan – sogar von einem bevorstehenden

Friedensschluss. In diesem Zusammenhang unterstrich der armenische

Premierminister Nikol Pashinyan am 26. März 2025 im Parlament mehrfach,

dass die Karabach-Bewegung für die Selbstbestimmung des Volkes von Artsakh

nicht weitergeführt werden dürfe. Ist der Auftrag also nicht schlicht überflüssig?


Für die nächsten Schritte dürfte es hilfreich sein, sich von Fakten leiten zu lassen –

statt von Euphorie und Wunschdenken.


Der Parlamentsentscheid ist ein klares politisches Signal an den Bundesrat. Ob er

es zur Kenntnis nimmt und ernsthaft umsetzt, ist jedoch keineswegs garantiert. Die

Liste außenpolitischer Motionen, die in den vergangenen Jahren überwiesen, aber

vom Bundesrat – teils aus nachvollziehbaren Gründen – nur teilweise oder gar nicht

umgesetzt wurden, ist lang.


Dieses Schicksal könnte auch der Motion 24.4259 drohen, die einen Dialog unter

Beteiligung von Volksvertretern des 2023 von Aserbaidschan liquidierten De-facto-

Staates Bergkarabach fordert. Und das just in dem Moment, in dem ehemalige

Volksvertreter – heute in Baku inhaftiert – in Schauprozessen verurteilt werden.


Zudem könnten Optimisten und Opportunisten, für die Wegschauen die

vorteilhafteste Option für die Schweiz ist, entsprechende Anstrengungen als

überflüssig betrachten – schließlich scheint Frieden in Sicht.


Vieles deutet allerdings eher auf eine schrittweise Kapitulation Armeniens hin als auf

einen dauerhaften Frieden. Aserbaidschans Forderungen sind zahlreich und

substanziell: eine Änderung der armenischen Verfassung, den Rückzug aller Klagen

vor internationalen Gerichten samt Aberkennung bereits bestehender Urteile sowie

zusätzliche territoriale Ansprüche. Zudem verweigert Aserbaidschan internationale

Verifikationsmechanismen und fordert den Abzug der EU-Monitoring-Mission.

Parallel dazu wird Kriegspropaganda betrieben, und Kriegsgefangene aus Armenien

und Bergkarabach werden in Schauprozessen verurteilt. Mit der Ausweisung des

IKRK entfällt der letzte Schutzmechanismus für ihre faire Behandlung.


Schwer ins Gewicht fällt jedoch auch, was nicht zur Sprache kommt: Die zentrale

geopolitische Streitfrage – die Schaffung einer Transitverbindung durch die Region

Zangezur – bleibt unerwähnt. Unklar bleibt zudem die völkerrechtliche Natur des

diskutierten Friedensabkommens. Es ist stets nur von einem Agreement die Rede,

nicht aber von einem Treaty mit klaren Verpflichtungen und

Durchsetzungsmechanismen.


Mit anderen Worten: Der Konflikt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weit von

einer völkerrechtlich tragfähigen, dauerhaften Lösung entfernt. Es bedarf nicht

weniger, sondern mehr internationaler Aufmerksamkeit und Engagement, um einen

weiteren Krieg mit absehbar katastrophalen Konsequenzen für Armenien zu

vermeiden. Multilaterale Lösungsansätze unter Mitwirkung maßgeblicher Akteure,

insbesondere der EU, sind daher unverzichtbar.


Es wird politischen Willen und kreative Diplomatie seitens des EDA brauchen, um

die Motion nicht vorschnell als unerfüllbar abzutun. Und ein aufmerksames Auge von

Parlament und interessierter Öffentlichkeit, um dies zu verhindern.


Warum soll sich die Schweiz im Südkaukasus engagieren? Insbesondere Armenien

ist ein geopolitischer Brennpunkt, in dem namentlich Russland, die EU, die Türkei

und der Iran ihre sehr unterschiedlichen Interessen verfolgen. Mittlerweile ist auch

klar, dass über Krieg und Frieden in Europa nicht nur auf den Schlachtfeldern der

Ukraine entschieden wird. Eine Reihe von post-kommunistischen Staaten sind direkt

in den Konflikt hineingezogen. Eine Stärkung von Armeniens Verteidigungswillen,

Zukunftsperspektiven und Stabilität liegt daher auch im direkten

sicherheitspolitischen Interesse der Schweiz. Langfristig trägt dies auch zum Schutz

ihrer freiheitlichen Grundordnung und zum globalen Überleben bei.


Zu den Mitteln und Möglichkeiten der Schweiz gehören eine aktive Rolle und

Beiträge in internationalen Foren wie der OSZE, substantielle und eindeutige

Positionierungen auf der Grundlage von Völkerrecht und Menschenrechtsstandards

bei deren Missachtung, Angebote zur Teilnahme an Verifikations- und Monitoring-

Mechanismen sowie der Ausbau (statt einem drohenden Abbau) der

Entwicklungszusammenarbeit in der Region, und hierbei namentlich eine Stärkung

der bisherigen Ausrichtung auf regionale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Diese und weitere, im Einzelnen noch zu verfeinernde und zu priorisierende

Maßnahmen setzen jedoch im Departement von Bundesrat Cassis einen politischen

Gestaltungswillen voraus, wie er seit zehn Jahren nicht mehr vorhanden ist. Mit

anderen Worten: eine Rückkehr zu einer außenpolitischen Priorität Südkaukasus.


*Werner Thut war bis Juni 2024 stellvertretender Regionaldirektor des Schweizer

EZA-Programms im Südkaukasus. In dieser Funktion war er verantwortlich für das

DEZA-Programm in Armenien, wo er auch Stellvertretender Missionschef war.

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